Vielleicht leiden Besitzer von Biergärten am meisten unter der Kastanienminiermotte: Wenn die Bäume bereits im August ihre Blätter abwerfen, verliert der schattige Gastgarten entschieden an Attraktivität. Auch in historischen Gärten sind kränkelnde Rosskastanien nicht eben gerne gesehen. Wie stark die Kastanie selbst unter dem Mottenbefall leidet, ist umstritten. Vieles spricht dafür, dass die Kastanienminiermotte vor allem ein optisches Problem ist.
Das Schadbild ist auffällig: Die Larven der Motte minieren die Blätter und hinterlassen gut sichtbare Gänge im Blattgewebe. Das Laub wird bereits ab Juli braun und rollt sich ein. Ende August bis Anfang September sind die Bäume oft schon völlig kahl. Auf die Wuchskraft der Kastanie hat dies offenbar nur wenig Einfluss. Die deutschen Wissenschafter Werner Heitland, Jona Freise, Albrecht Sturm und Norbert Lenz weisen darauf hin, dass die Rosskastanie vor allem im Frühling und Frühsommer photosynthetisch aktiv ist.
Der Gasaustausch erreicht zwischen Mai und Anfang Juni sein Maximum. Zu dieser Zeit haben die befallenen Bäume noch genügend Blattmasse, um die notwendigen Reservesubstanzen aufzubauen. Ein starker Befall wirkt sich vor allem auf die Größe der Früchte und Samen aus. Außerdem kommt es manchmal zu Notblüten und erneutem Austrieb im Herbst. Ein Phänomen, das der Volksmund als „narrischer Kastanienbaum“ bezeichnet.
Absterbende Bäume sind meist das Ergebnis einer Kombination verschiedener Stressfaktoren – Trockenheit, Salzschäden und Wurzelverletzungen – von denen der Befallsdruck durch die Miniermotte nur einer von vielen ist.
Druck der Öffentlichkeit
„Wenn ein Gemeinderat eine befallene Kastanie vor dem Haus stehen hat, macht er gleich Druck auf das Stadtgartenamt und verlangt, dass etwas unternommen wird“, erklärt Eric Schneider von Calantis Infochemicals.
Eine Folge davon ist die großzügige Anwendung von Dimilin, dem einzigen Pflanzenschutzmittel, das zur Bekämpfung der Kastanienminiermotte zugelassen ist. Dimilin mit dem Wirkstoff Diflubenzuron ist ein Häutungshemmer, der verhindert, dass die Larven der Miniermotte einen stabilen Hautpanzer bilden. Laut Angaben der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) ist die Toxizität von Dimilin für Menschen und Warmblütler gering. Allerdings kann es andere Insekten schädigen, wenn sie in einem sensiblen Entwicklungsstadium damit in Kontakt kommen oder davon fressen. Vor allem aber reagieren Fische und Organismen wie Wasserflöhe empfindlich auf den Entwicklungshemmer.
Wegen der großen Gefahr der Abdrift ist deshalb bei der Anwendung ein Mindestabstand zu Gewässern von 100 m vorgeschrieben – eine Regel, an die sich nicht alle Anwender halten.Stadtgartenämter stehen vor einem Dilemma. Einerseits verlangt die Öffentlichkeit ein gesundes Erscheinungsbild der Bäume. Andererseits sollte die Anwendung von Dimilin auf Grund der Nebenwirkungen auf ein unbedingt notwendiges Maß beschränkt bleiben. Der martialische Eindruck beim Applizieren des Mittels – das Tragen von Schutzkleidung und Mundschutz ist nach den Vorschriften für die sachgemäße Anwendung von Pflanzenschutzmitteln verpflichtend – trägt dazu bei, dass Ressentiments gegen die Aktion entstehen.
Mechanischer Schutz
Für kleine, isolierte Rosskastanienbestände empfiehlt die AGES, das Falllaub möglichst früh zu entfernen. Da die Puppen der Miniermotte im Laub überwintern, kann die erste Generation im Frühjahr fast vollständig unterdrückt werden. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Blätter noch nicht zersetzt sind.
Allenfalls hilft ein Laubsauger, mit dem die Reste des Laubs eingesammelt werden. Um die Puppen abzutöten, müssen sie auf mindestens 40° erhitzt werden. Diese Temperatur wird in kleineren Komposthaufen nicht erreicht; das Laub muss deshalb entweder in Heißkompostieranlagen zersetzt oder verbrannt werden. Alternativ dazu kann der Laubhaufen mit einer Schicht Erde abgedeckt werden, welche die frisch geschlüpften Motten im Frühjahr nicht durchdringen können. Auf keinen Fall sollte das Laub lediglich gehäckselt und im Garten ausgebracht werden.
Das Entfernen des Laubs kann einen Befall im nächsten Jahr nicht vollständig verhindern. Da die Kastanienminiermotte in der Regel drei Generationen pro Jahr produziert, ist ein Befall durch spätere Generationen möglich, die von benachbarten Bäumen herangeweht werden. Unterstützend zur mechanischen Kontrolle sollten die Kastanien gut mit Wasser und Nährstoff versorgt werden, um ihnen zusätzlichen Stress zu ersparen.
Natürliche GegenspielerVersuche, die Kastanienminiermotte durch heimische Parasiten und Fraßfeinde zu dezimieren, haben bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Als natürliche Feinde gelten Erz- und Schlupfwespenarten, aber auch Vögel, vor allem Blau- und Kohlmeisen.
Giselher Grabenweger vom Pflanzenschutzamt Berlin berichtet, dass nur ein geringer Prozentsatz der Motten von ihren biologischen Gegenspielern getötet wird. Faktisch werden nur bis zu 10 % der Larven von Parasiten befallen, was zu keiner optisch erkennbaren Befallsreduktion führt.
Als Grund nennt Grabenweger die schlechte Synchronisation der Lebenszyklen von Parasiten und Miniermotte. Als eingewanderte Art schlüpft die Kastanienminiermotte später als heimische Miniermottenarten, die durchaus bis zu 50 % und mehr parasitiert werden. Zu diesem Zeitpunkt sind die heimischen Nützlinge vermutlich schon abgewandert. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Rosskastanie bei Insekten allgemein eher unbeliebt ist. Die giftigen Inhaltsstoffe der Blätter bilden einen natürlichen Schutz gegen das Gefressenwerden.
Es gibt Hinweise darauf, dass sich im Zuge einer Ko-Evolution zwischen Wirt und Parasit die Parasitierungsrate langsam erhöht. Dieser Prozess, bei dem sich der Parasit dem Lebenszyklus des Wirtes anpasst, verläuft allerdings sehr langsam und „ist eine Frage von Jahrzehnten, wenn nicht gar von Jahrhunderten“. Es ist also unwahrscheinlich, dass sich in nächster Zeit der gewünschte Effekt einstellt.Die Kastanienminiermotte wurde in Mazedonien entdeckt, ihr eigentlicher Ursprung ist nach wie vor unbekannt. Es gibt deshalb keine Möglichkeit, natürliche Gegenspieler aus ihrer Heimat einzuführen, welche besser an den Lebens- und Reproduktionszyklus der Motte angepasst sind. Die Chancen, den Befalldruck mit Hilfe von Nützlingen zu reduzieren, sind zurzeit gering.
Verlockende Fallen
Pheromone sind artspezifische Duftstoffe, mit denen Lebewesen miteinander kommunizieren. Die Weibchen der Kastanienminiermotte setzen Sexualpheromone ein, um Männchen anzulocken. Diese Strategie kann ausgenützt werden, indem man künstlich Pheromone als Lockstoffe einsetzt, um die Männchen in Fallen zu fangen. Eine großflächige Bekämpfung der Motte ist damit nicht möglich, da viel zu wenige Individuen gefangen, werden um die Reproduktionsrate deutlich zu senken. Pheromonfallen werden vor allem zum Monitoring, das heißt zum Beobachten der Populationsentwicklung eingesetzt.
Einen anderen Weg schlägt Calantis Infochemicals ein. Bei Versuchen, die heuer im vierten Jahr in Wien, Mödling, München und Berlin durchgeführt werden, dienen Kairomone als Lockstoffe. Kairomone sind Substanzen, die vom Wirt – in diesem Fall der Rosskastanie – produziert werden, und die von den Parasiten – den Miniermotten – zur Orientierung benützt werden. Die Weibchen der Kastanienminiermotte gehen also dem Duft der Kastanien nach, um einen geeigneten Baum zur Eiablage zu finden. Wie bei Pheromonfallen werden diese Lockstoffe eingesetzt, um die Parasiten in Fallen zu fangen. Da in diesem Fall die Weibchen angelockt und auf Leimtafeln gefangen werden, wird die Vermehrungsrate in größerem Umfang reduziert. Um für den Nicht-Fachmann den Eindruck eines „gesunden“ Baums zu erreichen, muss der Befall um 75 % reduziert werden.
Mit Kairomonfallen wird derzeit eine Befallsreduktion knapp unter dieser Grenze erreicht. Eric Schneider hofft, dass das System entsprechend verbessert wird, damit es ab der nächsten Saison kommerziell eingesetzt werden kann. Anders als beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann mit den Fallen kein Null-Effekt erzielt werden. Es lässt sich mit ihnen aber ein signifikant besseres Erscheinungsbild erzielen.