1118925541.jpg

© Schlager

Haftung für Bäume

Ein Artikel von DI Dr. Gerald Schlager - allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger | 20.05.2005 - 14:33
1118925541.jpg

© Schlager

Obwohl es keine gesetzliche Definition der Verkehrssicherheitspflicht gibt, versteht die Rechtssprechung darunter die Verpflichtung des Grundeigentümers (ob privat oder in öffentlicher Hand), all jene Vorkehrungen zu treffen, dass vom Grundstück keine Gefahren ausgehen bzw. die Verpflichtung Sorge zu tragen, dass die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter rechtzeitig erfolgen.

Umgekehrte Beweislast. Dieser Verkehrssicherungspflicht wird entsprochen, wenn die nach dem Stand der Erfahrung und Technik als geeignet erscheinenden Sicherungsvorkehrungen rechtzeitig getroffen werden. Die Verpflichtung ist abhängig von der Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts. Es zieht daher nicht jede denkbare Gefährdung eine Pflicht zur Verkehrssicherung nach sich, sondern vielmehr erst eine solche, die für den Sachkundigen eine Verletzung oder Beschädigung Dritter möglich macht. Damit haftet der Baumeigentümer für Schäden, wenn Schadwirkungen (z. B. Astbruch, Umstürzen oder Abbrechen eines Baumes) eine Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Baumes sind und er nicht beweisen kann, die zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben. Diese Haftung des Baumhalters ist eine Verschuldensfrage mit umgekehrter Beweislast, d. h., nicht der Beschädigte hat das Verschulden des Schädigers, sondern Letzterer hat seine Schuldlosigkeit zu beweisen. Folgen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sind Schadenersatz, bei Körperverletzung tritt die strafrechtliche Belangung hinzu.

Pflichten für Private. Höchste Sicherheitsansprüche gelten Bäumen auf öffentlichen Plätzen, entlang von Straßen und Wegen. Eine zeitgemäße, moderne Baumpflege und Verkehrssicherheitskontrolle sollten Standard sein. Argumente zu knapper kommunaler Budgets und zu geringer Personalressourcen stellen keine Rechtfertigung für unterbleibende Baumpflegemaßnahmen und Verkehrssicherheitskontrollen dar.
Auch den Eigentümer/Nutzungsberechtigten privater Grundstücke trifft die Verkehrssicherheitspflicht – wenn auch nicht die gleich hohen Anforderungen wie an eine verkehrssicherheitspflichtige Behörde oder Kommune. Insbesonders was die fachlichen Vorkenntnisse und regelmäßige Kontrollverpflichtung betrifft, bedeutet dies allerdings nicht, dass der private Grundeigentümer seine Bäume nicht kontrollieren muss. Als Faustregel gilt, dass die für jeden Laien erkennbaren Mängel am Baum zu entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen veranlassen müssen.

Fachmann hinzuziehen. Die Kontrollintensität ergibt sich aus der Verkehrserwartung. Stehen beispielsweise große und alte Bäume nahe der Grenze zu stark befahrenen Straßen und Wegen und kann der Privateigentümer nicht ausreichend beurteilen, ob eine Gefahr von diesen Bäumen ausgeht, so hat er einen sachkundigen Fachmann (Gärtner, Sachverständiger) mit der Verkehrssicherheitsüberprüfung zu beauftragen.
Da die Verkehrssicherheitsverpflichtung grundsätzlich den Baumeigentümer erfasst, gilt dies auch für vermietete oder verpachtete Grundstücke. Weitergehende Regelungen bleiben gesonderten Bestimmungen in der Vertragsgestaltung (Pacht-, Mietvertrag) zwischen Verpächter und Pächter vorbehalten.

Ausnahmen. Diese für Solitärbäume strengen Verpflichtungen sind nicht direkt auf Waldbäume übertragbar. Abseits von Forststraßen und Wegen besteht für den Waldeigentümer keine Kontrollpflicht. Entlang von Forststraßen, Waldparkplätzen, auf Waldlehrpfaden, Fitnessparcours, Reitwegen und in Erholungswäldern (gemäß § 36 ForstG 1975) wird von einem jährlichen Kontrollintervall auszugehen sein.

Haftungsfrage. Eine naturschutzrechtliche Unterschutzstellung (Naturdenkmal, geschützter Landschaftsteil) ändert grundsätzlich nichts an den Eigentumsverhältnissen und Verpflichtungen des Grundeigentümers, obwohl die Handlungsfreiheit des Baumeigentümers durch bescheidmäßige Auflagen der Unterschutzstellung massiv eingeschränkt werden. Das Land Salzburg z. B. unterstützt den Eigentümer naturschutzrechtlich ge- schützter Bäume durch eine jährliche Sichtkontrolle durch Wacheorgane. Dem Grundeigentümer erwachsen hieraus keine Kosten. Trotzdem verbleibt beim Grundeigentümer die Aufsichtspflicht. Bei sichtbaren Veränderungen an seinen geschützten Baum hat er die Naturschutzbehörde umgehend hiervon in Kenntnis zu setzen.
Etwas anders verhält es sich bei Bäumen in Städten (Wien, Graz, Salzburg) mit einer Baumschutzregelung (Baumschutzgesetz, Baumschutzverordnung). Für die Fällung (ab einem bestimmten Stammumfang) und einem radikalen Baumkronenrückschnitt ist eine behördliche Bewilligung erforderlich. Diese behördliche Bewilligungspflicht entbindet den Baumeigentümer nicht von seinen Verkehrssicherheitsverpflichtungen. Eine Haftung der Behörde würde erst dann entstehen, wenn eine aus Verkehrssicherheitsüberlegungen beantragte Fällung bescheidmäßig versagt wurde und es danach innerhalb eines sachlich gerechtfertigten Zeitraumes (Regelkontrolle) zu einem technischen Versagen des Baumes mit Folgeschäden kommen würde.

Umfang und Häufigkeit der Baumkontrollen. Die Rechtssprechung zur Verkehrssicherheitspflicht für Bäume ist restriktive. Gesetzliche Vorgaben gibt es nicht, die Rechtssprechung verlangt die Durchführung von Regelkontrollen in angemessenen Zeitabständen. Der Umfang der Baumkontrollen und der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ist je nach Lage des Falles an folgenden Kriterien zu messen:
Ü Zustand des Baumes (Baumart, Baumalter, Wüchsigkeit, Schäden, ...)
- Standort des Baumes (Park, Garten, Straße, Fußweg, Wald, ...)
- Art des Verkehrs (Verkehrshäufigkeit und Verkehrswichtigkeit)
- Verkehrserwartung (mit welchen Gefahren muss gerechnet werden; Pflicht, sich selbst zu schützen)
- Zumutbarkeit der erforderlichen Maßnahmen (auch wirtschaftliche Zumutbarkeit von Baumkontrollen und Sicherungsmaßnahmen)
- Status des Verkehrssicherungspflichtigen (hinsichtlich der Vorhersehbarkeit von Schäden: Behörde, Kommune, Hausverwaltung, Privatmann).

Baumkontrollen dokumentieren. In der Praxis bedeutet dies im Regelfall eine jährliche Kontrollpflicht. Jüngere gesunde Bäume werden auch mit größeren Kontrollintervallen überprüft, bei Problembäumen ist eine zweimalige Kontrolle (im belaubten und im unbelaubten Zustand) geboten.
Das Kriterium dieser Sichtkontrollen ist es, keine Anzeichen zu verkennen bzw. zu übersehen, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen. Der Verkehrssicherheitspflichtige kann sich somit bei Fehlen besonderer Verdachtsmomente auf eine sorgfältige äußere Besichtigung vom Boden aus, also auf eine Gesundheits- und Zustandprüfung, beschränken; er muss eine fachmännische Untersuchung nur bei Feststellung verdächtiger Umstände veranlassen. Eine Baumkontrolle sollte immer dokumentiert werden, um auch als Beweismittel der wahrgenommenen Sorgfaltspflicht herangezogen werden können.

Checkliste. Nachstehend werden Beurteilungskriterien zur Verkehrssicherheitsüberprüfung aufgelistet, um dem Nichtfachmann eine grobe Einschätzung des Gefahrenpotenzials und Notwendigkeit einer Beiziehung eines Sachverständigen zu ermöglichen:
Standort: Vernässungen, Erdabrutschungen, unterirdische Leitungseinbauten, zu geringer Standraum (5 m²), Bodenverdichtung, ständiges Befahren oder Beparken des Wurzelbereiches, Streusalzbelastung, Bodenrisse, Grabungsarbeiten im Kronentrauf.
Wurzeln: freiliegende, abgestorbene oder beschädigte Wurzelanläufe, Pilzbefall (Rindenablösung, rußige Verfärbung) an den Wurzelanläufen; Stockausschlag; Bodenrisse, Bodenaufwölbungen; Streusalzbelastung, Staunässe; Grabungsarbeiten im überschirmten Kronenbereich (Trauf); Bodenverdichtung (durch Befahren oder Beparken).
Stamm/Rinde: Schrägstellung, Zwieselbildung (geteilter Stamm insbesonders mit V-Form); Stammverletzungen im erheblichen Ausmaß (ca. ein Drittel des Stammumfanges betroffen bzw. 0,5 m vertikale Wunderstreckung), abgehobene Rindenbereiche, Holzrisse durch Blitzschlag, Frostrisse, Wulstbildungen; sichtbare Vermorschungen, Faulstellen; sichtbarer Pilzbefall (Schwammbildung), örtliche Ablösung der Rinde, starke Verharzung, verstärkter Wasserreiserwuchs (Austrieb von Feinästen im unteren und mittleren Stammbereich); Spechtlöcher, Einfluglöcher von Insekten.
Kronenraum/Äste: schüttere, durchsichtige Kronenausbildung (Lamettasyndrom bei Nadelbäumen), einseitige, deutlich hangabwärts gerichtete Kronenausbildung; Kopflastigkeit, Überlänge der Seitenäste, erhöhter Dürrastanteil; abgebrochene, noch hängende Äste, Faulstellen und Vermorschungen in den Astgabeln, Mistelbefall, baumfremder Bewuchs; Wipfelbruch bei Nadelbäumen; Blattverfärbungen, Blattnekrosen, Kleinblättrigkeit, verspäteter Blattaustrieb im Frühjahr, herbstliche Blatteinfärbung im Spätsommer.
Gefahrenbereiche: Die Gefahrenbereiche ergeben sich aus dem potenziellen Wurfradiusbereich, also aus der Höhe des jeweiligen Baumes zuzüglich eines 50 %igen Zuschlages.