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Artischocken aus dem Marchfeld

Ein Artikel von Dr. Roland Ebel | 04.07.2007 - 14:45
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Jeder, der einmal in Italien frische Artischocken probiert und genossen hat, konnte bis vor Kurzem mit dem Angebot in Österreich nicht unbedingt zufrieden sein: Wer auf Dosenprodukte verzichten wollte, musste sich bisher mit importierter Ware zufrieden geben. Ähnlich ist es Stephanie Theuringer aus Raasdorf (Marchfeld) an der Wiener Stadtgrenze ergangen.

Mehr als Hobby begann sie vor einigen Jahren im eigenen Garten mit dem Edelgemüse zu experimentieren. Ihr Vorteil dabei war, dass ihre Familie eine große Landwirtschaft (mit Schwerpunkt auf Karottenanbau, inklusive einer Waschanlage; bis vor zwei Jahren wurde auch Solofino-Spargel produziert) besitzt, wo außer ihr ihre Eltern und ihr Bruder zusammenarbeiten.

Luxusgemüse
Die Artischocke Cynara scolymus L. gehört zur Familie der Asteraceae. Sie wird der Unterfamilie der Carduae zugeordnet, wozu auch die Gattungen der Disteln, der Flockenblumen und der Kletten gehören. Schon in der Antike galt sie als luxuriöses Gemüse, das aber erst im 15.Jahrhundert in Italien wieder Bedeutung erlangte, von wo sich die Artischocke im Lauf der Jahre mehr und mehr ausbreitete. Auch derzeit haben die Mittelmeerländer eine zentrale Bedeutung: Die weltweite Produktion von Artischocken liegt bei ca. 1,2 Mio.t auf einer Fläche von knapp 120.000 ha; davon deckten alleine Italien und Spanien sechzig Prozent ab.

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Guter Boden – gute Artischocke
Bei Stefanie Theuringer standen die ersten Versuche mit der Artischocke unter dem Vorzeichen der richtigen Sortenwahl. Als sich dabei Ergebnisse einstellten, die einen (einjährigen) Anbau der Pflanze möglich erscheinen ließen, wurde aus dem Experiment langsam eine richtige Produktion: 2003 wurden erstmals Artischocken auf 1 ha angebaut. Schon damals konnte zu hohe Qualität geerntet werden, was sicher auch an den guten Bodenund klimatischen Voraussetzungen im Marchfeld liegt (für eine optimale Entwicklung benötigt die Pflanze Temperaturen von ca. 20°C während des Tages und von 12°C bis 14°C nachts).

Verkauf in der Feinkost
Da die Artischocke am österreichischen Markt ein Novum war, brauchte es in Raasorf natürlich seine Zeit, einen entsprechenden Kundenstock für dieses Gemüse zu finden.
Der Pioniergeist wurde belohnt: Nach und nach machten immer mehr Kunden vom Ab-Hof-Verkauf des Edelgemüses Gebrauch. Zusätzlich werden die Artischocken nunmehr auch in ausgewählten Feinkostgeschäften in Wien angeboten. Dies bewirkte eine kontinuierliche Vergrößerung der Anbaufläche: Im Jahr 2007 wurden bereits Artischocken auf 3,5 ha ausgepflanzt.
Dabei werden nicht immer dieselben Standorte herangezogen, sondern es wird variiert, um die Folgen einseitigen Anbaus zu reduzieren.

Die Artischocke, immerhin mit der Distel verwandt, kann nämlich zu einer recht unangenehmen Vorfrucht werden. So wurden etwa die 3,5 ha Anbaufläche im Jahr 2007 zuvor für Weizenproduktion verwendet. Derlei Fruchtwechsel hat für Stephanie Theuringer außerdem den Vorteil, dass die Nährstoffgehalte im (mittelschweren) Boden hoch sind und deswegen kaum Düngung für die Artischocke notwendig ist. Heuer war beispielsweise überhaupt keine N-Düngemaßnahme erforderlich, einzig Kalk als Prävention gegen die so genannte Blütenendfäule kam zum Einsatz. Bei kalziumarmen Böden ist generell eine zusätzliche Ca-Düngung sinnvoll, da sonst eben physiologische Schäden an den Knospen auftreten können.
Der pH-Wert von Böden für Artischockenproduktion sollte im neutralen Bereich liegen. Sie bevorzugt humose, tiefgründige Böden und es empfiehlt sich die Einarbeitung von organischem Material vor der Pflanzung.
Versuche haben gezeigt, dass die Verwendung von schwarzer PE-Folie einen positiven Effekt hinsichtlich Unkrautkontrolle und Ernte bewirkt. Darauf wird im Marchfeld allerdings verzichtet. Eine hohe gleichmäßige Wasserversorgung kommt der Entwicklung der Artischocke zugute – bei Theuringer wird manuell bewässert, andernorts kommen auch Tropfschläuche zum Einsatz.

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Die Marchfeld-Artischocken werden vor der Pflanzung für acht bis zehn Wochen bei einem Gärtner in der Umgebung vorgezogen. Ausgepflanzt wird dann Ende April, wodurch ab Ende Juli für ca. zehn Wochen geerntet werden kann. Bis dahin beansprucht insbesondere die Unkrautbekämpfung, die händisch ausgeführt wird, die Zeit von Stephanie Theuringer.

Ansonsten ist die Artischocke aber relativ problemlos: Während der Pflanzenentwicklung sind normalerweise keine speziellen Kulturmaßnahmen erforderlich. Auch Pflanzenschutz ist in Raasdorf nur selten nötig: Gelegentlich wird gegen Blattläuse gespritzt (die schwarze Bohnenblattlaus, Aphis fabae, und andere Läuse, vor allem Myzus persicae, gelten als problematischste Schädlinge der Artischocke in Mitteleuropa, weil sie Virosen übertragen können). Theuringer legt viel Wert auf den Verzicht chemischer Hilfsmittel, wenn es biologische Alternativen gibt. Sorgen bereitet ihr heuer aber erstmals der Wildfraß, ein bislang unbekanntes Problem, das vermutlich auf die trockene Witterung im Frühjahr 2007 zurückzuführen ist.

Anders als vielfach auf Märkten angeboten, wird die Artischocke in Raasdorf ohne Stiel geerntet – eine zweifelsfrei sinnvolle Maßnahme, hat der Stiel doch nur optische Qualitäten und wirkt sich negativ auf die Frische der geernteten Knospe aus. Stolz verweist Theuringer auf eine eigene Ernte-Maschine, die ihr Bruder konstruiert hat und mit welcher gleich bei der Ernte sortiert werden kann. Der Ertrag an Marchfelder Artischocken ist mit rund 150 dt/ha die ganzen Jahre über konstant geblieben, berichtet sie, schränkt allerdings ein, dass die Größe der Knospen je nach Witterungsverlauf schwanken kann.

In den Hauptanbauländern (mehrjährige Kulturführung) sind Erträge von 150 bis 250 dt marktfähigen Knospen je Hektar üblich. Bei einjähriger Kultur ist im mitteleuropäischen Klima durchschnittlich mit sechs bis zehn frischmarktfähigen Knospen je Pflanze, also rund sieben Knospen je Quadratmeter zu rechnen. Dies entspricht 1.500 bis 1.800 g je Pflanze, also ca.30 bis 160 dt marktfähige Knospen je Hektar. Theuringers Ertrag kann sich also sehen lassen!

Die Primärknospen sowie Knospen, die sich bei kühleren Temperaturen entwickeln, gelten übrigens als qualitativ am hochwertigsten. Mit zunehmender Dauer der Ernteperiode sinkt dann die Qualität. Nach Beendigung der Ertragsphase werden die Pflanzen üblicherweise abgeschlegelt und die Wurzelstöcke gerodet.
Die Pflanzenreste können auch wieder in den Boden eingearbeitet werden, was wegen ihres hohen K-Gehalts sinnvoll ist und wovon in Raasdorf Gebrauch gemacht wird.
Abschließend bleibt festzustellen, dass die Kultur der Artischocke zwar für die meisten unserer Gärtner kein Thema sein wird, weil ihnen schlicht die Anbaufläche dafür fehlt und nur wenige Standorte so begünstigt für die mediterrane Frucht sind wie das Marchfeld. Stephanie Theuringer hat jedoch eindrucksvoll bewiesen, dass bei beständiger Arbeit der Mut zu innovativen Ideen belohnt wird.