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Vom Baum lernen für eine fachgerechte Baumpflege

Ein Artikel von DI Christiane Bartal | 07.09.2012 - 13:46

Es ist noch keine 40 Jahre her, dass Baumpfleger Stammwunden noch ausfrästen und hohle Stämme mit Gewindestangen versteiften oder mit Beton ausgossen. Noch heute sieht man vereinzelt derartige Baumruinen. „Baumchirurgen“ nannten sich die Baumpfleger damals noch – und nach schweren Operationen sahen die abenteuerlichen Aktionen an ihren Patienten auch aus. Zu dieser Zeit galt es auch als Stand des Wissens, Äste stammparallel zu schneiden und nicht wie heute der Baumbiologie folgend „auf Astring“.

CODIT – die Revolution in der Baumpflege
Zu dieser Zeit, in den 1970er- und 1980er-Jahren, befasste sich der amerikanische Forstbiologe Alex Shigo (1930–2006) schon seit längerem mit der komplexen Reaktion von Bäumen nach Verletzungen. Er erkannte, dass die angewendeten Baumpflege-Methoden schlicht baumschädlich waren. Er fasste seine Erkenntnisse in einer modellhaften Darstellung zusammen, dem sog. CODIT-Modell. CODIT stand damals für „Compartmentalization of decay in trees“ (Abschottung von Fäule in Bäumen). Erst später wurde das Modell in „Compartmentalization of damage in trees“ umbenannt, um den Aspekt des Lufteintritts und die Funktionsstörung durch Luftembolie nach Verletzungen einzubeziehen. Nichtsdestotrotz – Shigo beschrieb mit seinem Modell erstmals auch für Baumpflegepraktiker leicht verständlich, wie sich ein Pilzbefall nach Verwundungen wie Astungsschnitten räumlich ausdehnt und die natürliche Reaktion des Baumes, nämlich Abschottung, anregt. Demnach bildet der Baum nach Verletzung „Kompartimente“, innerhalb derer er unterschiedlich reagiert. Anfangs mehr belächelt als ernst genommen, setzte sich das Modell nur langsam in der Fachwelt durch.

Wundreaktion in vier Phasen
Bäume reagieren auf Verwundungen je nach Wundgröße, Jahreszeit und Baumart unterschiedlich. Es ist jedoch stets ein Prinzip erkennbar – Abschottung und Überwallung von Schäden finden in vier aufeinanderfolgenden Phasen statt:
Phase 1: Luft dringt ein – Gewebe in Wundnähe stirbt ab
Phase 2: Schaderreger, z. B. holzzerstörende Pilze dringen ein
Phase 3: Schaderreger breiten sich aus
Phase 4: Baum kapselt Schaderreger unter Luftabschluss ein, sodass diese absterben; Überwallungswülste schließen die Wunde

Oftmals wird Phase 4 nicht erreicht – wenn etwa die Wunden zu groß sind, der Baum bereits geschwächt oder die Verwundung im Winter, in der Ruheperiode des Baumes, stattfindet. Daraus lassen sich wichtige Regeln für die Baumpflegepraxis ableiten.

Regeln für die Baumpflegepraxis
• Baumarten lassen sich in schwache Kompartimentierer (Birke, Esche, Pappel, Weide, Silber-Ahorn, div. Obstgehölze, Fichte) und effektiv abschottende Baumarten (Berg- und Feldahorn, Buche, Eiche, Hainbuche, Linde, Platane, Kiefer) einteilen
• Abhängig von der Baumart sollen bei schwach abschottenden Arten nur Äste bis max. 5 cm Durchmesser, bei guten Kompartimentierern bis max. 10 cm Durchmesser geschnitten werden!
• Während der Vegetationszeit sind Bäume physiologisch aktiv und können auf Verletzungen effektiv reagieren – die nachweislich ideale Zeitspanne für Schnittmaßnahmen reicht daher von April bis August
• Das Auftragen von sog. Wundverschlussmittel kann Fäule sogar fördern und zerstört mechanisch die empfindlichen Kambiumzellen. Bei frischen Anfahrschäden wird daher die Abdeckung mit speziellen lichtundurchlässigen Folien empfohlen, welche die Bildung von Flächenkallus fördern
• Häufig genügt die Einkürzung der Krone im Schwachastbereich (bis 5 cm Durchmesser), anstelle der Entnahme eines Stark­astes. Weitere Schnittregeln sowie Anleitungen für die korrekte Schnittführung finden Sie im Buch „Das CODIT-Prinzip“ – siehe Buchtipp!

Buchtipp

Das CODIT-Prinzip
Dieses Buch sollte das Standardwerk für jeden Baumpfleger sein. Es erklärt anschaulich, wie Bäume auf Verwundungen reagieren. Mit bildhaften Erläuterungen für den fachgerechten Kronenschnitt.

Dirk Dujesiefken, Walter Liese,
Haymarket Media, 160 S., 34,50 €
ISBN 978-3-87815-227-9