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­Einen Baumbesitzer trifft die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass von seinen Bäumen keine offensichtlichen Gefährdungen für die Allgemeinheit ausgehen können © Renata Ty/Shutterstock.com

Der Baum im Nachbarrecht

Ein Artikel von DI Mag. Peter Herbst, Dr. Gernot Kanduth, DI Dr. Gerald Schlager | 31.08.2012 - 09:58

Unter „Verkehrssicherungspflicht“ versteht man ganz allgemein die Pflicht zur Absicherung von Gefahrenquellen. ­Einen Baumbesitzer trifft daher die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass von seinen Bäumen keine offensichtlichen Gefährdungen für die Allgemeinheit ausgehen können. Dabei handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, von der sich der Besitzer nur durch den Nachweis befreien kann, dass er jede zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat. Da der Sorgfaltsmaßstab ein objektiver ist, gilt der Entlastungsbeweis nur dann als erbracht, wenn der Besitzer beweist, dass er alle Vorkehrungen und Kontrollmaßnahmen gesetzt hat, die vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung von ihm erwartet werden können. Verkehrssicherungspflichten treffen aber nicht nur den, der eine Gefahrenquelle schafft, sondern auch den, der eine Gefahrenquelle in seiner Sphäre bestehen lässt.

Verkehrssicherungspflicht im Detail
Ob also für einen Schaden gehaftet wird, der durch die mangelhafte Beschaffenheit eines Baumes verursacht wurde, ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 1319 ABGB; der lautet: „Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe“. Daraus ergibt sich auch die analoge Anwendung dieser Haftungsbestimmungen für Bauwerke auf die Haftung für Schäden durch umstürzende Bäume oder abbrechende Äste.

Bäume – eine ständige Gefahr?
Bäume sind aber nicht schon deshalb als gefährlich anzusehen, weil sie dastehen und bei entsprechender Einwirkung umfallen und fremdes Gut beschädigen könnten. Die verschärfte Haftung nach § 1319 ABGB kommt vielmehr nur dann zum Tragen, wenn die erhöhte Gefährlichkeit nachweislich auf einem Mangel beruht. Mangelhafte Beschaffenheit liegt aber nur dann vor, wenn durch den Zustand eines Baumes von diesem eine besondere Gefahr ausgeht. Sie kann etwa infolge mechanischer Verletzungen des Baumes oder einer Krankheit, unter Umständen aber auch bei einem abnormen Wuchs bestehen.

Astabbrüche und umstürzende Bäume
Grundsätzlich muss der Geschädigte beweisen, dass ein Anderer den Schaden schuldhaft herbeigeführt hat (§ 1296 ABGB). Im Fall der Haftung für Schäden durch umstürzende Bäume oder abbrechende Äste kommt es aber zur Umkehr der Beweislast (§ 1298 ABGB): Hier hat nicht der durch den Baum Geschädigte das Verschulden des Baumhalters (Schädigers), sondern der Schädiger seine Schuldlosigkeit zu beweisen.
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles; die Grenzen ergeben sich aus der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr. Dabei ist stets auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Maße betroffene Verkehrsteilnehmer selbst bestehende Gefahren erkennen und ihnen begegnen können.

Unwissenheit schützt nicht vor Strafe
„Unzumutbarkeit entschuldigt“, aber „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“! Zivilrechtliche Haftung kann zu einer Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz führen, strafrechtliche Haftung zu einer strafgerichtlichen Verurteilung.
Die zivilrechtliche Haftung kann daher mit einer Haftpflichtversicherung gedeckt werden, im Fall der strafrechtlichen Haftung ist dies jedoch nicht möglich.

Nachbarrecht: Wenn der Nachbarbaum stört
Das Österreichische Nachbarrecht vereint zwei Gedanken: Freiheit des Eigentums und Rücksichtnahme auf Dritte. Geht es um entlang von Grundstücksgrenzen stockende Bäume, finden sich die nachbarschaftlichen Rechte und gegenseitigen Verpflichtungen im § 422 ABGB. Mit dem Zivilrechtsänderungsgesetz 2004 (BGBl. 91/2004 vom 28.10.2003) wurde die uneingeschränkte Freiheit des Grundeigentümers in Bezug auf Nachbarbäume einer grundsätzlichen, deutlich „baumfreundlichen“ Neuregelung unterzogen.
Konnte man ursprünglich die vom Nachbargrundstück auf das eigene Grundstück überhängenden Äste und eindringenden Baumwurzeln ohne besondere Rücksichtnahme entlang der Grundstücksgrenze entfernen, so ist dies nunmehr nur unter möglichster Schonung des Nachbarbaumes zulässig. Der beschnittene Baum darf also keine nachhaltige Schädigung erfahren. Darüber hinausgehende Eingriffe (Kroneneinkürzung, Wurzelentfernungen) dürfen ohnehin nur im Einvernehmen mit dem Baumbesitzer vorgenommen werden.

Immissionsverbot
Ein Grundstückseigentümer kann nunmehr seinem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht und Luft untersagen und dies notfalls gerichtlich durchsetzen. – Oder zumindest durchzusetzen versuchen: Vo-raussetzung ist nämlich, dass diese Einwirkungen das ortsübliche Ausmaß überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen. Als relevante fachliche Beurteilungsparameter haben sich die in der Tabelle zusammengefassten herausgestellt.

Zwischen Baumrecht und Menschenrecht
Der Gesetzgeber hat hier bewusst auf den Erlass konkreter Abstandsvorschriften zugunsten einer einzelfallorientierten Entscheidung verzichtet. Dem Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme folgend soll der beeinträchtigte Nachbar sein Recht auf Immissionsschutz nur unter möglichster Schonung fremder Bäume und Gewächse und sachgerecht ausüben dürfen. Eine wesentliche Beeinträchtigung ist noch nicht ausreichend, es muss vielmehr zu unzumutbaren Auswirkungen für den Grundstücksnachbarn kommen.

Gespräch suchen
Das neue Nachbarrecht baut auf das „Rücksichtnahmegebot“ auf. Ziel ist das einvernehmlich nachbarschaftliche Verhältnis. Gelingt dies nicht, ist die außergerichtliche Streitbeilegung durch Befassung einer Schlichtungsstelle zu suchen. Notariats- und Rechtsanwaltskammern helfen hier weiter. Erst wenn diese Schlichtungsversuche scheitern, ist der Weg zum örtlichen Bezirksgericht offen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch auch hier, dass das Gespräch der einfachere und meist wesentlich kostengünstigere Lösungsansatz bei nachbarschaftlichen Meinungsverschiedenheiten ist.